Aus meiner Vagina werden keine Babys kommen: Eine Geschichte freiwilliger Kinderlosigkeit

13/08/2020
970 wörter

Ich gestehe, dass das Thema Nachwuchs für mich mittlerweile bedrückend ist. Ich will keine Kinder in die Welt setzen, nur weil es mir die Gesellschaft vorschreibt, und bin es leid, mich dafür vor den Leuten rechtfertigen zu müssen.

Aus dem Arabischen übersetzt von Jana Duman.

Mein Partner und ich sind seit neun Jahren zusammen, davon fünf Jahre offiziell. Unsere Liebe steht gesellschaftlichen Normen gleichgültig gegenüber, denn ihre Grundlage ist die Freiheit und sie ist der Schlüssel zu unserem „Erfolg“. Wir haben uns dagegen entschieden, Kinder zu bekommen – und hier beginnt meine Geschichte. Ich weiß, dass diese Entscheidung für den größten Teil unserer Gesellschaft unverständlich ist, da die Ehe im traditionellen Denken ihre Legitimität erst durch Nachwuchs erhält.

Mein Partner und ich unterscheiden klar zwischen Beziehung und Fortpflanzung, weil das Erste nicht automatisch das Zweite nach sich zieht. Das heißt, nicht in jeder Ehe gibt es zwangsläufig auch Kinder. Ein Sprichwort besagt: „Wer Kinder hat, stirbt nicht“. Aber das halte ich für Unsinn, denn der Tod ist ein unumstößlicher Fakt für jeden Menschen, ob er nun Kinder hat oder nicht.

Was wir beide, mein Partner und ich, als persönliche Entscheidung ansehen, ist für unsere Familien eine Katastrophe. Sie halten unsere freiwillige Kinderlosigkeit für unverantwortlich und vernunftwidrig, was uns insbesondere in den ersten Jahren unserer Ehe sehr nachdrücklich und vehement klargemacht wurde. Wenn wir auf das Thema Kinder zu sprechen kamen, gingen manche sogar so weit, meinen Bauch zu befühlen – eine in der tunesischen Gesellschaftskultur weitverbreitete Geste. Natürlich ist das Verhalten unserer Familien auch mit gesellschaftlichem Druck zu erklären, schließlich beginnt in Tunesien so gut wie jede Unterhaltung mit der Frage „Hat dein Sohn/deine Tochter/deine Nachbarin … eigentlich Kinder?“. Ein Nein bringt die Familie sofort in Verlegenheit, denn sogleich wird Unfruchtbarkeit vermutet, wo es vielleicht nur um eine persönliche Entscheidung geht.

Mein Partner und ich haben festgestellt, dass es sich mit unseren „progressiven“ Freund*innen nicht viel anders verhält. Aus ihrer Nachfrage, ob wir bald Kinder bekommen, war jedoch nach einigen Jahren die Luft raus und wir schlossen daraus, dass sie bei uns ein gesundheitliches Problem vermuteten und vielleicht Mitleid mit uns hatten.Diese Vermutung beruhigte uns ehrlich gesagt, denn sie ersparte uns nicht nur weitere Fragen, sondern diente auch zu unserer Belustigung. Nach ihrem Empfinden macht Sex keine Freude, solange „der Mutterleib leer bleibt“. Ich erinnere mich, wie ich meiner Mutter einmal vorschlug, sie solle den Verwandten doch einfach erzählen, ich sei unfruchtbar, damit sie endlich aufhörten nachzufragen. Das war für meine arme Mutter ein Schock, der sie fast zum Weinen brachte!

Es gibt Tausende Frauen, die nach ihrem eigenen Willen handeln und sich nicht gesellschaftlich auferlegten Zwängen unterwerfen.

Ich gestehe, dass das Thema Nachwuchs für mich mittlerweile bedrückend ist. Ich will keine Kinder in die Welt setzen, nur weil es mir die Gesellschaft vorschreibt. Und bin es leid, mich dafür rechtfertigen zu müssen. Ich lehne es ab, kinderlose Frauen in Schubladen zu stecken. Nicht jede Frau, die kinderlos bleibt, ist krank oder zeugungsunfähig. Es gibt da etwas, das nennt sich „freier Wille“. Tausende Frauen haben schon nach ihrem eigenen freien Willen gehandelt und sich nicht gesellschaftlich auferlegten Zwängen unterworfen.

In unserer Gesellschaft verliert eine Ehe ihre Anerkennung, wenn es einem Paar aus medizinischen Gründen nicht möglich ist, Kinder zu bekommen. Kinderlosigkeit bedroht die Stabilität einer Ehe, denn wem einmal das Stigma der „Sterilität“ anhängt, den sucht es auf alle Zeit heim: Eine Frau, die niemals Mutter wird, ist in Weiblichkeit und Ansehen geschmälert; ein Mann wiederum ist kein ganzer Kerl. Wir dürfen auch nicht die mitleidigen Blicke, den Tratsch und die verletzenden Worte vergessen, die kinderlosen Ehepaaren entgegenschlagen und in Rechtsstreitigkeiten gar als Argumente gegen sie verwendet werden.

Doch weil wir in einer patriarchalischen Gesellschaft leben, in der Regeln und Traditionen der Autorität des Mannes unterworfen sind, wiegt die Last der Kinderlosigkeit meist schwerer auf der Frau. Sie ist es, die sich dem Tratsch ihres Umfelds ausgesetzt sieht. Man sorgt sich weniger darum, dass ihr die Mutterschaft versagt bleibt, sondern spekuliert in erster Linie darüber, dass ihre Ehe keine Zukunft hat. Da die Familienplanung unvollständig bleibt, wird wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Ehe zum Scheitern verurteilt ist.

Unter dem Druck von Familie und Gesellschaft sehen sich viele Frauen zu einer medizinischen Irrfahrt gezwungen, egal wie aussichtslos diese ist. Sie lassen anderen zuliebe Spritzen, Medikamente und Operationen über sich ergehen oder - wenn der Glaube an Medizin und Wissenschaft verloren ist - versuchen es mit Zauberei. Sie gehen zu einem spirituellen Sheikh oder einer Sheikha, die ihnen ein Stück Schafswolle mit Bockshornkleesamen füllt und zu einem Bündel zusammenbindet. Die Frau steckt es in ihre Scheide, bindet es an ihren Oberschenkeln fest und verbringt so eine Nacht. Oder der Sheikh/die Sheikha spricht einige magische Formeln über einem Stück Stoff der Frau aus und steckt die Kleidung in ein Amulett, das die Frau im Hammam tragen muss. Solche Rituale ähneln sehr den Ritualen, die Frauen für die Suche nach einem Ehemann durchführen. Das verweist direkt auf die organische Verbindung zwischen Ehe und Fortpflanzung – eine Verbindung, die sich auch in unseren Mythen und Sagen wiederfindet, personifiziert von Göttinnen wie Frigg1 und Hathor.2

Dies könnte uns glauben lassen, dass jede Frau mit einer historischen Mission vertraut ist: die menschliche Nachkommenschaft zu sichern. Immerhin gilt die Fruchtbarkeit in allen Religionen als heilig. So lesen wir zum Beispiel im Koran: „Herr! Gib, dass wir an unseren Gattinnen und an unserer Nachkommenschaft Freude erleben, und mach uns zu einem Vorbild für die Frommen!“ (25:74). Und in der Bibel steht: „Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan.“ (GEN 1:28) Diese Zitate verweisen ganz grundsätzlich auf das Streben danach, das Überleben bestimmter Gruppen von Menschen, seien sie ethnisch oder religiös, zu sichern.

 

Die besondere Aufmerksamkeit und Sorge, mit der man die Fruchtbarkeit stets umgab, hat die Institution Ehe zur Grundlage für die Zeugung von Nachkommenschaft gemacht und ihr den Schein des Heiligen verliehen.

 

Die besondere Aufmerksamkeit und Sorge, mit der man die Fruchtbarkeit stets umgab, hat die Institution Ehe zur Grundlage für die Zeugung von Nachkommenschaft gemacht und ihr den Schein des Heiligen verliehen. Folglich ist alles, was außerhalb der Ehe geschieht, sündhaft. So wäre einer Familie eine Tochter ohne Gebärmutter lieber als ein außereheliches Kind von ihr. Ein solches Kind steht im Widerspruch zum menschlich geschaffenen politischen System und Gesetz sowie der göttlichen Ordnung, denn „Gott weiß, was jedes weibliche Wesen trägt, und wann der Mutterschoß abnimmt und wann er zunimmt. Und alles hat bei Ihm ein Maß.“ (13:8). Wenn die Ehe ein Fundament ist, dann ist die Fortpflanzung dessen logische Erweiterung, die den Standard der Kernfamilie ermöglicht; sie bildet wiederum den „natürlichen Rahmen“, in dem Familienmitglieder mit anderen gesellschaftlichen Institutionen „richtig“ interagieren können, was „die Sozialisierung und die Schaffung eines mentalen Gleichgewichts erleichtert“.3 Dies ist das „kollektive Bewusstsein“, in dessen Schatten sich die Erziehung von Individuen geschlechtsbasierend vollzieht;4 so fallen die Darstellungen und Kategorisierungen unverheirateter oder kinderloser Frauen deutlich gravierender aus als die von Männern.

„Ich habe mich manchmal gefragt, ob mein ganzes Glück auf einer kolossalen Lüge basiert“5, warf Simone de Beauvoir einst in eine Unterhaltung über ihre Beziehung zu Männern, Liebe und Sex in den Raum, ohne die Frage jemals zu beantworten. Es ist eine Frage, die sich jede Frau in Bezug auf Ehe und Mutterschaft stellen könnte. Schließlich wird der Frau diese Dualität doch schon von klein auf als Idee in den Kopf gepflanzt, bis sie sie ungefragt als Essenz ihres Seins und als ultimatives Glücks anerkennt. Diese Idee ist Teil eines  instinktiv verinnerlichten komplexen autoritären Gedankennetzes, das die Frau unter die Autorität von  Vater/Ehemann/Sohn/ Gesellschaft und anderen Mächten stellt, die Werkzeuge der Unterdrückung besitzen und das Verhalten der Frau bewerten. Basiert also die Idee vom Glück in der Institution Ehe nicht auf einer einzigen kolossalen Lüge? Bewirkt denn die Kinderlosigkeit bei der Frau spezielle biologische Veränderungen? Natürlich nicht. Die Frau bleibt eine Frau wie jede andere. Und weil ich eine Frau wie jede andere bin und mein eigenes Leben lebe, werden aus meiner Vagina keine Babys kommen.

  • 1. Frigg ist die Göttin der Fruchtbarkeit und Ehe im nordischen Pantheon.
  • 2. 2. Hathor ist in der ägyptischen Mythologie die Hüterin der Ehefrauen, Fruchtbarkeit, Liebe und Leidenschaft.
  • 3. 3. Abdessamad Dialmy, Die arabische Enzyklopädie der Soziologie (Tunis/Tripoli, Dar Al-Kitab Al-Arabi: 2019), 67.
  • 4. 4. Ian Craib, Modern Social Theory. From Parsons to Habermas, übersetzt von Mohammed Hussain Ghuloum, Kuwait 1978, 67.
  • 5. Hazel Rowley, Tête-à-tête: Leben und Lieben von Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, übersetzt von Dar al-Mada Bagdad, 1. Ausgabe, 31. Oktober 2017.