„Swipe: Aus welchem Land kommst du?“

24/06/2019
741 wörter

In Beirut war Tinder für sie eine unkomplizierte Art, Leute kennenzulernen. In Berlin ist die Dating-App für die syrische Journalistin Zina Abdallah zum virtuellen Konfrontationsort geworden. Für WIR MACHEN DAS und JEEM schreibt sie über Rassismus beim Flirten

Übersetzung: Jana Duman

Ich war eine Nachzüglerin bei der Dating-App Tinder, die bereits 2012 an den Start ging. Vielleicht lag es daran, dass ich damals einen Freund hatte. Anders als viele meiner Freund*innen, die sofort Konten eröffneten, Fotos von sich reinstellten und Profile hochluden, interessierte mich das Ganze erst einmal nicht.

Ich war überzeugt, Dating-Apps seien nur für Leute, die auf gewöhnlichem Weg nicht an Verabredungen kamen. Für Leute, die nicht den Mut hatten, in Bars oder Cafés jemanden anzusprechen, den sie attraktiv fanden – die sich nicht trauten, nach einer Nummer zu fragen.

Als meine Beziehung in die Brüche ging, kreierte auch ich ein Profil auf Tinder, um diese neue, virtuelle Welt zu entdecken. Ich wohnte damals in Beirut, wo meine syrische Nationalität oder meine Bisexualität bei der Partnerrolle nie eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Genauso wie mein Umfeld interessierte ich mich nicht für die Nationalität der anderen, sondern für ihre kulturellen Hintergründe und Interessen.

Da ich bald darauf eine ernste Beziehung mit einer Frau begann, ging meine Erfahrung mit Tinder in Beirut nicht über Chats und gelegentliche Kurznachrichten hinaus. Falls es rassistische Einstellungen gab, die über Tinder verbreitet wurden, bekam ich nichts davon mit. Vielleicht auch deshalb, weil ich nur mit offenen Leuten kommunizierte, die sich nicht an Minderheitenzugehörigkeiten oder Ethnien festhakten. Doch schon bald sollte ich andere Erfahrungen machen – nämlich, dass es durchaus auch in der Welt des Datings Rassismus gibt.

Ich zog nach Berlin, wo für mich eine Zeit begann, in der ich kaum noch dazu kam, mich unter die Leute zu mischen, um potenzielle Partner*innen kennenzulernen. Viel Arbeit, viel um die Ohren, viel Papierkram. Als ich merkte, dass mir die Zeit für neue Bekanntschaften fehlte, kehrte ich zu Tinder zurück.

In Berlin war alles anders als in Beirut, also auch meine Erfahrungen beim Daten. Die ungeheure gesellschaftliche Diversität in der Stadt war neu für mich. Sie beschränkte sich nicht auf bestimmte Gruppen oder enge persönliche Netzwerke; nein, die individuellen Hintergründe meiner Bekanntschaften, ob kulturell oder national, waren extrem facettenreich. Über Tinder lernte ich Menschen kennen, die völlig anders waren als ich, und so erweiterten sich meine Horizonte. Ein italienischer Schriftsteller? Ein schwedischer Läufer? Ein spanischer Musiker? Oder doch ein französischer Künstler? An ein und demselben Tag konnte ich mit ihnen allen reden.

Als die anfängliche Euphorie nachließ, merkte ich, wie viele meiner Dates versuchten, mich in gewisse Schubladen zu stecken. Ich begann, Seiten meiner Identität zu ergründen, mit denen ich mich vorher nicht beschäftigt hatte. Bei scheinbar unschuldigen Gesprächen über meinen geografischen Ursprung beispielsweise, in vermeintlich harmlosen Plaudereien über mein Geburtsland.

„Aus welchem Land bist du?“ In einer riesigen Stadt wie Berlin, wo die meisten Menschen heute aus weit entfernten Regionen stammen, schien mir der Satz immer etwas einfallslos. Doch fast jede Unterhaltung begann damit.

Tatsächlich fällt es mir schwer, auf diese Frage zu antworten, denn die Antwort ist kompliziert. Wenn ich ganz genau wäre, müsste ich sagen, ich komme aus Daraa in Syrien. Auch wenn ich dort zu keiner Zeit meines Lebens wirklich gewohnt habe. Mein Leben begann in Damaskus, ich erinnere mich daran, wie ich mich dort gegen Traditionen und Bräuche gesträubt habe. Die einfachste Antwort wäre also: Ich komme aus Syrien. Aber das wäre irreführend, daraus ließen sich keine individuellen Schlüsse über meine Person ableiten. Denn dann ist da ja auch noch Beirut. Aber taugt ein erstes Gespräch dafür, auch diese Station noch unterzubringen? Immerhin sehne ich mich dorthin deutlich stärker zurück als nach Damaskus.

Irgendwann hatte ich meine Antwort auf die Herkunftsfrage parat: „Ich bin von nirgendwoher, aber jetzt lebe ich in Berlin.“ Doch meine dunkle Haut verriet meine nicht europäischen Wurzeln, und es wurde weiter gebohrt, dann eben nach der Herkunft meiner Mutter. Einmal beharrte jemand so lange auf der Frage, bis ich verärgert sagte, ich käme aus einem arabischen Land. Da antwortete er mir schamlos: „Ich habe noch nie eine braune arabische Vagina gesehen.“ Dieser Idiot reduzierte mich tatsächlich auf mein andersfarbiges Geschlechtsteil. Gewisse Oberflächlichkeiten gehören beim Daten natürlich erst mal zum Konzept. Aber das absolute Desinteresse an meinem Leben und Denken, an den vielen unterschiedlichen Orten, die mich geprägt haben, und der alleinige, rassistische Blick auf meine Vagina, machten mich sprachlos.

Ich möchte mit niemandem ausgehen, der eine arabische Frau auf Körper und Hautfarbe reduziert, der mich nur aufgrund eines Stereotyps attraktiv findet und mit mir seine sexuellen Fantasien ausleben will.

Jahrhundertelang galten Beziehungen zwischen Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen in vielen Teilen der Welt als unerwünscht und waren – außer in besetzten Regionen – selten. Doch gerade dieses obskure Tabu machte das Thema für manche attraktiv – verbotene Früchte sind bekanntlich die süßesten. Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir diesen Unsinn hinter uns lassen. Ich möchte mit niemandem ausgehen, der eine arabische Frau auf Körper und Hautfarbe reduziert, der mich nur aufgrund eines Stereotyps attraktiv findet und mit mir seine sexuellen Fantasien ausleben will. Ganz ehrlich, ich habe nichts dagegen, wenn Menschen bestimmte Vorlieben für Eigenschaften und körperliche Merkmale haben, die ihre Partner*innen von ihnen unterscheiden. Aber wenn der Reiz des vermeintlich Fremden so irrational erlebt wird, dass jemand das Individuum zugunsten von Hautfarbe und Physiognomie negiert, kann man nicht länger von Vorliebe sprechen.

Bei meinen Tinder-Bekanntschaften spielte meine syrische Nationalität immer eine ausschlaggebende Rolle. Ich erinnere mich an einen Mann, der mich fragte: „Du bist aber kein Flüchtling, oder?“ Ich bestätigte das, aber es beruhigte ihn nicht, also plapperte er weiter: „Du siehst nämlich gar nicht aus wie die anderen syrischen Flüchtlinge, du siehst aus wie eine Spanierin.“ Ich hatte bis dahin nicht gewusst, dass syrische Flüchtlinge eine uniforme Einheit bildeten. Und ich empfinde einen derart verallgemeinernden Blick auf syrische Immigrant*innen und Flüchtende auch als abstoßend und provozierend.

Ich bleibe also dabei, Vorlieben hin oder her: Wenn simplifizierte Zugehörigkeitsmodelle Wahrnehmung und Entscheidung bei der Partner*innenwahl bestimmen, dann ist das schlicht Rassismus – den es abzulehnen, zu entlarven und zu thematisieren gilt.