Aus dem Arabischen übersetzt von Daniel Falk
Der Körper meiner Großmutter entzog sich mir, als sie sich auf die Reise machte. Sie schloss ihre Augen, wandte sich resigniert an die Ewigkeit und begrüßte sie mit einem Kuss auf die Wangen. Sie ließ ihre weißen Hände herabhängen, voller Vorfreude darauf, zukünftig fern von meinem Großvater und fern von den Apfelbäumen auf dem Feld zu sein. Sie grüßte ihre Mutter, ohne zu fürchten, dass der Saum ihres Kleides ihre kompletten Knie freigab. Sie umarmte sie innig und reichte ihr das mit Bulgur gefüllte Brot, auf einem Feld ohne Dornen. Meine Großmutter kehrte nicht in ein Haus zurück, das ihr wohlriechendes, sich frei lockendes Haar gar nicht wahrnahm. Ein Haus, das Zeuge ihrer zahlreichen Blutergüsse und ihrer unter Schlägen fehlgeborenen Kinder geworden war.
„Gräme dich nicht, meine Liebe, lächle!“
Kurz vor der Beerdigung umringten Frauen ihren Körper, als liefen sie um die Kaaba in Mekka. Sie setzten sich in ihre Nähe und beteten für ihren Einzug ins Paradies. Ich fühlte mich gezwungen, mich ihren Ritualen anzupassen, um die prüfenden Blicke zufriedenzustellen. Ich sah Frauen, die ich nie zuvor gesehen hatte. Sie behaupteten, meine Großmutter gekannt und geliebt zu haben. Ich sah, wie einige sich eine Zigarette nach der anderen anzündeten. Ich sah Mütter, die unter den anwesenden Mädchen nach potenziellen Ehefrauen für ihre Söhne Ausschau hielten. Ich hörte ihr Getratsche und ihr gedämpftes Lachen und vernahm auch, wie sie sich entschuldigend wieder verabschiedeten … denn letztlich hatten sie ihre Beileidspflicht ja erfüllt.
Meine älteste Tante drückte mir eine Gebetskette in die Hand und drängte mich, die Perlen zu bewegen. Eine andere Tante lehrte mich einige religiöse Phrasen, die ich dann vor mich hinmurmelte, während ich die aufeinander gestapelten Maamoul, mit Datteln gefüllte Kekse, trug. Ich hatte noch nie eine Trauerfeier besucht, daher kannte ich die dazugehörigen Rituale nicht. Zwischen all den Kaffeetassen fühlte ich mich, als sei ich mit ihr begraben worden, unter den weißen Laken, die die entblößten Körper voller Scham bedecken. Anstatt Mitleid zu bekommen musste ich viele Koranrezitationen über mich ergehen lassen. Ich wollte, dass sie aufhörten. Ich bat sie sogar darum, aber sie hörten nicht auf mich. Sie sagten zu mir: „Willst du dich etwa Gottes Wille widersetzen?“
Soll in denn an Gott glauben? Ich schwamm nicht mit im Strom ihrer Tränen, denn der sich daraus ergießende Strom war unrein: Und Gott hat etwas gegen Unreinheit. So wurde es mir jedenfalls gesagt. Gott nahm mich an meiner Hand, die ich schlaff auf meinen überkreuzten Oberschenkeln abgelegt hatte, und zog mich weg von ihren monotonen Glaubensbekenntnissen. Er ließ mich nicht auf ihren kalten, instabilen Stühlen sitzend zurück, sondern ließ mich die Arme meiner Großmutter greifen. Während sie einen Schritt vor den anderen setzte, aus Angst, hinzufallen, spürte ich ihre hervortretenden Adern unter der Haut. Sie war nicht stürmisch und anmaßend wie die Kinder, oder wie mein Großvater. „Bitte, zeige mir den Weg, Liebes“, bat sie, „ich möchte mir die Seifen ansehen.“
Mein Vater hatte nach dem Tod meiner Großmutter die Seifendosen, die sie stets liebevoll und sorgsam geordnet hatte, weggeräumt. Nun hatte er sie zum ersten Mal seit ihrem Tod wieder rausgeholt und in der Sonne ausgebreitet, damit der Schimmel ihre glänzenden Oberflächen und ihre mal farbigen, mal zerfressenen Seiten nicht beschädigte. Ich sah sie aufgereiht auf dem Geländer unseres Daches, am Rande des vernachlässigten Feldes. Die meisten Würfel hatten dieselbe Farbe wie das Innere einer unreifen Melone. So hatte ich sie noch nie gesehen. Kann es sein, dass sie traurig waren über den Verlust der Hände, die sie gestreichelt und geschmückt hatten? Womöglich haben sie auch geweint, ein aufrichtiges Weinen. Im Gegensatz zur Heuchelei der kondolierenden Besucherinnen.
Ich erinnerte mich an meine Großmutter, wie sie ihr Haar mit dem elfenbeinfarbenen Schaum schrubbte. Und ich stellte mir vor, wie sie das heiße Wasser über meinem braunen behaarten Körper verteilte, nachdem sie ihn mehrfach mit einem Schwamm geschrubbt hatte. Meine Haut vermisste sie und ihren Duft, während ich auf ihrem Bett liege, das noch immer nach ihr riecht, obgleich das Laken gewaschen wurde. Meine Haut sehnte sich nach dem Geruch ihrer Haut. Trockene und warme Haut. Wie Feuerholz. Wie Hauswände. Ich vermisse es, ihr dabei zuzusehen, wie sie ihr Hemd auswringt, nachdem sie ihren morgendlichen Kaffee darauf verschüttete. Sie passte nicht recht zu ihren Koranexemplaren, selbst wenn sie auf einem schlief. Selbst wenn sie es küsste. Sie konnte die Schrift zwar nicht entziffern, hatte sie aber so verinnerlicht hatte, dass sie sie ständig still vor sich hinmurmelte. Die Welt jedoch hatte ihre schwachen „Gott ist groß“-Rufe abgedämpft. Wenn Gott mir nur jetzt langes Haar verleihen könnte. Schon allein wegen meiner Haare passte ich hier nicht hin. Wenn er mir jetzt nur auch noch zu einer anderen Hose verhelfen könne. Die Baggy-Jeans, die ich trug, zog alle Blicke auf sich. Denn meine gute, enganliegende Hose hatte ich an diesem Tag in Beirut vergessen. Wie konnte ich ahnen, dass meine Großmutter sterben würde und dass mein Hintern auf ihrer Trauerfeier zum Thema werden könnte. Ich trug also ihr einziges schwarzes Hemd. Und weinte. Ich weinte viel und voller Trotz gegenüber der Bitte meiner Tante, die meine feuchten Wangen mit ihrer trockenen Hand drückte: „Gräme dich nicht, meine Liebe, lächle!“
Meine blaue Sonne
Mehrere Monate später lag ich erschöpft in meinem rosafarbenen Bett. Ich lag zwischen den kalten Laken wie ein umgepflanzter Baumstamm im Schlamm. Ich schlief in dieser Nacht nicht auf meiner üblichen Seite. Ich kümmerte mich nicht um die Kälte der Laken an meinem entblößten Bauch. Ich schlief auf dem Rücken und ließ meinen Füßen die Freiheit, sich gegenseitig zu streicheln. Ich rollte mich nicht wie eine Schlange zusammen, wie mein Vater sagen würde. Ich breitete mein Körperteile aus. Meine kalten Finger suchten nicht Schutz an der Wärme meines Oberschenkels. Ich zitterte nicht. Ich fürchtete weder Frost noch Regen. Ich verfluchte den Winter nicht in dieser Nacht. Ich war zufrieden, alleine zu sein, in diesem Bett, das wiederholt versucht hatte, ein Haus für mich zu sein. In diesem Moment blickte ich zu dem einzigen Licht, das das Zimmer beleuchtete und sah im Blau des Lichts meine Großmutter. Ich sah sie, wie sie mir zuwinkte und ihre Arme weit öffnete, wie die Sonne. Ich fand sie dort, und sie umfasste für mich mit Ehrfurcht all die Koranverse, die ich vor dem Schlafengehen nicht rezitiert hatte.
--- Brief an meine Oma Nadhira
„Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich nach deinen weißen Taschentüchern suche, an vergessenen Orten, die nicht schlafen. Dann wiederum ertappe ich mich dabei, wie ich mich vor der lauten Stimme meines Großvaters ekle, der deine Sprache verstummen ließ. Oh, wie sehr möchte ich dich aus diesem Schweigen reißen, aus dieser lähmenden Stille, die dich immer ins Bett gewiegt hat. Ich wünschte, du gingest mit mir ans Meer, das du selbst nie erblickt hast. Sein Blau ähnelt dir sehr, es ist ruhend, unberechenbar und fern, so wie du. Oma, immer noch höre ich deine Demutsbekundungen an Gott bei jedem Gebetsruf. Immer noch klingen deine Mahnungen in meinen Ohren nach: „Wie der Seitenarm eines Flusses willst du immer abweichen, aber das ist schwierig, meine Liebe.“ Immer noch sehe ich das Leid der Frauen der Welt in dir. Immer noch schlafe ich neben Kissen, die deine Schwestern bestickt haben. Ich weine in der Saison von
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اكثر من رائعه...لقد اعطيت الحق والصوت الحر لروح طيبه كروحك...لروحها السلام ولكل النساء اشباهها...
وصف جميل وسرد متداخل مفعم بالوصف الحي ...رائع عزيزتي
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